Beispiel1

Beispiel „Sprayergang“

Vorfall

Drei Jungs einer dritten Klasse haben nach der Schule auf dem Heimweg bei einer Strassenbaustelle einen Farbspray entwendet und damit mehrere sowohl öffentliche als auch private Gegenstände besprüht. In einer Schulstunde kam das Ganze heraus. Die Klasse war sehr aufgeregt.

Vorgehen und Wirkungsprinzipien

Die Klassenlehrperson sammelte zunächst alle Fakten und hielt diese schriftlich fest. Alle drei Jungs gaben zu, was sie getan hatten.
Eine vertrauensvolle Beziehung, in der sich die Kinder auch trauen können, zu Fehlern zu stehen, halten wir für entwicklungsföderlicher, als eine Kultur, in der die Angst vor Strafe im Vordergrund steht und die somit vorwiegend auf äussere Anpassung abzielt.

Nach dem Unterricht ging die Klassenlehrperson mit den 3 Jungs zu allen besprühten Gegenständen und fotografierte diese ab.
Hierin zeigt sich auch klar das Prinzip der Präsenz. Die Lehrperson „schaut hin“, ist interessiert an einer Klärung, engagiert sich und zeigt somit auch: Ihr seid mir wichtig! Und: Das Einhalten von Verhaltensnormen ist uns wichtig!

Die Lehrerin informierte den Schulleiter und den Schulsozialarbeiter. Die Schulleitung berief nun einen runder Tisch ein, bestehend aus Schulleiter, Schulsozialarbeiter, Jugendpolizist, Eltern und für einen 2. Teil die drei Jungs. 
Prinzip der Kooperation und Vernetzung: Autorität liegt im Netzwerk!

Im Gespräch wurden die Eltern vom Schulleiter zunächst über die Faktenlage informiert. Danach erläuterte der Jugendpolizist die rechtliche Situation. Der Schulsozialarbeiter führte darauf eine mögliche pädagogisch nützliche Vorgehensweise aus. Ziel dieser Vorgehensweise war es, dass die Jungs ihren Schaden mit Unterstützung ihrer Eltern wieder gut machen.Dazu bekamen die Eltern vom Schulleiter je ein Formular mit Tabelle, in der die durch ihr Kind verursachten Schäden und die Namen der Geschädigten notiert wurden. Ebenfalls konnten die Wiedergutmachungsdaten und die Unterschriften der Geschädigten eingefügt werden, die damit bestätigen konnten, dass die Wiedergutmachung geleistet wurde. Das Formular beinhaltete auch die abschliessenden Unterschriften der Eltern, des Schulleiters und des Jugendpolizisten als Bestätigung, dass alles wieder gut gemacht wurde. 
Als Geschädigte wurden auch die Eltern und die Klassenlehrerin aufgeführt, denen die Jungs ebenfalls für ihren Aufwand (den Eltern auch für ihre Kosten) eine Wiedergutmachung leisten sollten. Ausserdem sollte die Klasse am Ende über die geleisteten Wiedergutmachungen informiert werden, damit der Ruf der Jungs wiederhergestellt wurde.
Prinzip: Wiedergutmachung nützlicher als blosse Strafe!

Diese Vorgehensweise schlug der Schulleiter nun den Eltern vor, zumal so auch die Wahrscheinlichkeit, dass Geschädigte eine Anzeige machen, reduziert würde. Die Eltern waren mit dem Vorgehen einverstanden. Sie kamen gut miteinander ins Gespräch, tauschten sich mit dem Schulleiter und dem Schulsozialarbeiter über angemessene Möglichkeiten für die Wiedergutmachungen aus und Termine wurden abgesprochen. Der Jugendpolizist sicherte zu, dass er mit den Geschädigten in Verbindung treten würde und auch ihnen das von Eltern und Schule geplante Vorgehen erläutern werde.

Nun holte der Schulleiter die drei wartenden Jungs zur Gesprächsrunde hinzu. Er schilderte auch ihnen die Faktenlage. Danach erläuterte der Jugendpolizist den Jungs kindgerecht die rechtliche Situation. Im Anschluss daran wandte sich der Schulleiter den Jungs zu und erklärte, dass er sie kenne und schätze als tolle Jungs der Schule Altenburg, dass die Schule aber nicht akzeptiere, dass ihre Schüler auf dem Schulweg fremdes Eigentum beschädigen. Weiter führte er aus, dass sich alle Erwachsenen auf eine Vorgehensweise geeinigt haben, die ihnen die Möglichkeit gibt, das Vorgefallene wieder gut zu machen. So wurde jetzt auch ihnen vom Schulleiter und auch von den Eltern das ganze Prozedere erklärt. Sie waren betroffen über das Geschehene und zeigten sich motiviert und froh darüber, dass sie es wieder gut machen können.

Mittels dieser Tabelle wurde ein Prozess initiiert, der mehrere Wirkungsprinzipien beinhaltet:

  • Zunächst werden den Kindern über die Auflistung der Schäden und der geschädigten Personen, die Auswirkungen ihrer Handlung bewusst und sie bekommen einen Einblick in die Perspektive der Geschädigten. Dieser wird beim persönlichen Kontakt mit den Geschädigten, zwecks Entschuldigung und Wiedergutmachung, noch intensiviert.
  • Die „Täter“ werden so auch in eine Beziehung mit den Geschädigten und ihren Gefühlen gebracht, der Schaden wird quasi „entanonymisiert“.
  • Schule und Eltern können so in der Öffentlichkeit zeigen, dass sie sich kümmern und Sorge tragen. Dies spüren auch die Kinder, wenn sie gemeinsam mit der Unterstützung ihrer Eltern die Wiedergutmachungen leisten. Es entsteht ein gutes Gefühl, das die Beziehungen stärkt.
  • Die Wiedergutmachungen helfen den Kindern beim Wiedererlangen eines positiven Selbstgefühls, 

    wohingegen Strafen meist nur eine offizielle Anpassung mit einer inoffiziellen Opposition erzeugen und das Selbst- und Fremdbild eines „Straftäters“ eher aufrechterhalten als auflösen. Ein Selbst- und Fremdbild der Kinder Im Sinne eines „Wiedergutmachers“ oder „Der, der aus Fehlern gelernt hat und nun schlauer ist“ wird durch unser Vorgehen angestrebt. 

  •  Das Prinzip des Öffentlichmachens ist ein wichtiger Schritt, um den Ruf der Jungs wieder herzustellen.
  • Gleichzeitig erfährt so auch die Klasse, dass Eltern und Schule sich gemeinsam darum kümmern, dass Regeln eingehalten werden und Schaden wieder gut gemacht werden muss.
  • Dies wiederum verstärkt das Vertrauen aller SchülerInnen in die Lehrpersonen und begünstigt somit, dass SchülerInnen Fehler zugeben oder Fehlverhalten von anderen den Lehrpersonen melden.
  • Die Jungs in diese Runde von Erwachsenen zu holen, ist eine klare Erhöhung der Erwachsenenpräsenz.
  • Die Ankündigung des Schulleiters an die Kinder, dass wir Erwachsenen sie schätzen und als tolle Jungs der Schule Altenburg kennen, dass wir dieses Verhalten aber nicht akzeptieren und von ihnen eine Wiedergutmachung möchten, folgt dem Prinzip des gewaltlosen Widerstands.